Ein Jahr ohne Einkünfte geht an die Substanz

Alleine in Nordrhein-Westfalen gibt es 5.500 Schaustellerbetriebe, die rund 50.000 Menschen Arbeit bieten. Die meisten von ihnen sind Familienunternehmen wie der Betrieb von Johann „Hansi“ Luxem. Mit seinen Pizzaständen kann sein Schaustellerbetrieb an zwei Standorten zur gleichen Zeit vertreten  sein. Dann ist die ganze Familie im Einsatz: Mit seiner Frau, seiner Tochter und seiner Mutter arbeiten mehrere Generationen Hand in Hand. Ein umfassender Gesundheitsschutz ist daher sein ureigenstes Interesse. Ihm liegen aber auch die Gesundheit und die Sicherheit der Besucherinnen  und Besucher sowie der zusätzlichen Saisonkräfte am Herzen, so Hansi Luxem. Von den Saisonkräften sind in der Hochphase vor Weihnachten bis zu zehn bei den Luxems beschäftigt. Auch für sie bricht die Lebensgrundlage weg, wenn alles still steht. Bei aller notwendigen Vorsicht aufgrund der Ansteckungsgefahr zeigt Hansi Luxem im Gespräch die Widersprüche auf: Wieso haben Imbissbuden auf Wochenmärkten nach wie vor geöffnet? Wieso gab es in den ursprünglichen Plänen zu Weihnachtsmärkten die Verpflichtung zur Registrierung der Besucherinnen und Besucher, während die Menschen das Kaufhaus nebenan betreten können, ohne ihre persönlichen Daten anzugeben? Diese ungleiche Behandlung erschließe sich ihm nicht.


Dabei gäbe es Lösungen: Die Schausteller-Betriebe wünschten sich die Möglichkeit, gemäß der Corona-Regeln Speisen zu verkaufen. Die Schutzverordnung sieht vor, dass die Gastronomen die „Belieferung mit Speisen“ und den „Außer-Haus-Verkauf von Speisen“ fortführen können, sofern die Mindestabstände eingehalten und Hygieneanforderungen berücksichtigt werden. Auch Schausteller können ihre Esswaren ausschließlich zum Mitnehmen anbieten. Die dafür notwendigen Hygienevoraussetzungen haben sie bereits im Sommer geschaffen. Die ursprünglich geplanten Insellösungen als Standorte für Schausteller-Buden in der Vorweihnachtszeit befürwortet Hansi Luxem. Durch die entzerrte und in den Innenstadtgebieten verteilte Präsenz sei die Einhaltung von Abstandsregelungen kein Problem gewesen. Er ist überzeugt: Die Schaustellenden können eine Partymeile vermeiden. Deswegen haben sie eine Gleichbehandlung der Weihnachtsmärkte mit dem stehenden Gewerbe gefordert, also den Imbissbuden und ähnlichen Verköstigungsstationen. Leider ohne Erfolg.


So lange Hansi Luxems Pizzaofen kalt bleibt, die Fahrgeschäfte anderer Schausteller eingelagert sind und keine Waren und Lebensmittel eingekauft werden, entstehen auch keine Kosten – so die Meinung vieler. Das ist falsch. Auch wenn die Branche nicht auf Weihnachtsmärkten oder auf Volksfesten steht, laufen die Kosten weiter: Sie zahlen Pacht für die Grundstücke, auf denen ihre Schaustellergeschäfte stehen. Sie zahlen Steuern und Versicherungen für ihre Fahrzeuge und auch die eine oder andere Reparatur fällt an, damit alles in Schuss bleibt. Die Familien bauen ihre komplette Existenz darauf, dass sie unterwegs sind. Jetzt sind sie wirtschaftlich fast am Ende.


Die Überbrückungshilfen sind leider nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Aus Sicht der Branche ist eine Überarbeitung dringend erforderlich – nicht zuletzt aufgrund der Dauer, für die sie gewährt wird. Denn: Das Schaustellergeschäft ist nicht nur im November betroffen, sondern steht im Grunde das ganze Jahr 2020 komplett still. Investitionen in neue Fahrzeuge zum Beispiel sichern sie mit ihrem Hab und Gut ab. Darlehensraten sind jedoch von der Überbrückungshilfe nicht abgegolten. Die Bürokratie hinter den Überbrückungshilfen ist ein zusätzliches Hemmnis, müssen dafür doch extra Steuerberater beauftragt werden. Diesen Mehraufwand wiederum finanziert niemand. Er sei froh darüber, dass die SPD-Fraktion in Nordrhein-Westfalen an der Seite der Schaustellenden kämpfe und sich für die finanzielle Sicherheit der Branche einsetze, so Luxem. Steter Tropfen höhlt den Stein! Hoffentlich halten die Familien so lange durch.


„Die Veranstaltungsbranche und insbesondere die Schausteller befinden sich in existenziellen Nöten. Bereits seit April machen wir in Debatten und Anträgen darauf aufmerksam, dass die Schausteller seit den Weihnachtsmärkten 2019 ohne Einnahmen sind. Die Kosten aber bleiben! Die Schausteller brauchen dringend direkte Hilfen, sonst droht die Branche – und somit eine lange Tradition – die Pandemie nicht zu überstehen. Landesregierung und CDU/FDP müssen endlich ihre Blockadepolitik aufgeben. Von schönen Worten ist noch keine Schaustellerfamilie ernährt worden– Hilfen müssen her, für die wir uns weiterhin einsetzen werden, damit sich das Karussell auch nach Corona noch dreht.“

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