In Deutschland wächst die Kluft zwischen den wirtschaftlich prosperierenden, den finanzstarken und den strukturschwachen Regionen. Schwächere Innovationspotentiale durch geringere kommunale Einnahmen und steigende Soziallasten in Folge überdurchschnittlich hoher (Langzeit-)Arbeitslosigkeit führen zu stetig sinkender kommunaler Handlungsfähigkeit, fördern Perspektivlosigkeit und schränken die Möglichkeiten der Zukunftsgestaltung massiv ein.
Dabei handelt es sich um Regionen mit einer eigenen industriellen Geschichte, Regionen betroffen von sektoralen Krisen. Heute stehen sie vor großen Herausforderungen. Manche dieser Regionen haben Deutschland stark gemacht, haben es nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut und haben mit ihrem Einsatz einen großen Anteil an unserem Wohlstand von heute. Und es handelt sich um Regionen, in denen viele Menschen gerne leben und ihre Heimat mitgestalten wollen.
Für uns stehen die Menschen und ihre Lebensbedingungen im Mittelpunkt. Wir wollen für sie einen neuen Aufbruch, damit diese Regionen den Strukturwandel bewältigen können, alle Menschen gleiche Chancen haben und soziale Perspektiven entwickeln können.
Unser Ziel sind gleichwertige Lebensbedingungen und ein soziales Wachstum, das mehr ist als die Betrachtung des wirtschaftlichen Erfolgs, in allen Regionen Deutschlands. Im Norden, im Osten, im Westen und im Süden. Wir wollen, dass alle Regionen mit erschwerten Bedingungen im Strukturwandel in allen Bundesländern gefördert werden. Wir wollen die Erfahrungen und Fähigkeiten der Menschen in industriell geprägten Regionen für die Modernisierung des industriellen Kerns der deutschen Volkswirtschaft nutzen. Die Pilot-Region für diese Unterstützung muss das Ruhrgebiet sein. Denn das Ruhrgebiet ist die Region Deutschlands, die besonders gekennzeichnet ist durch eine hohe Ungleichheit der Lebenschancen, sogar innerhalb der Städte.
Wir brauchen ein Aktionsprogramm in Bund und Land für gleichwertige Lebensbedingungen im Ruhrgebiet, das auf Regionen mit vergleichbar schwieriger Ausgangslage übertragen werden kann. Es baut auf folgenden Säulen auf:
– Investitionsfreiheit für Kommunen: Öffentliche kommunale Investitionen sind der Schlüssel für mehr Lebensqualität und mehr Wettbewerbsfähigkeit der Regionen. Sie im Ruhrgebiet zu sichern und auszubauen, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Deshalb ist die finanzielle Stärkung der Kommunen eine der Grundbedingungen für Wachstum und Lebensqualität. Wir fordern einen Strukturwandel-Bonus einzuführen: Die Zuschüsse des Bundes zu den Kosten der Unterkunft (KdU) müssen gezielt für hoch verschuldete Kommunen erhöht werden. Das ist eine spürbare Entlastung und ermöglicht auch ihnen, Zukunftsinvestitionen zu tätigen.
– einen Altschuldentilgungsfonds für Kommunen in Zahlungsschwierigkeiten aufzulegen: Mit einem Altschuldentilgungsfonds werden wir hochverschuldeten Kommunen helfen, ihre Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen.
– eine Neuausrichtung von Förderprogrammen des Bundes auf den Weg zu bringen: Nach dem Auslaufen des Solidarpaktes 2019 muss ein integriertes Fördersystem des Bundes für strukturschwache Regionen in ganz Deutschland geschaffen werden. Dafür müssen die Programme finanziell aufgestockt und verstetigt werden.


1. Stärken stärken: Das Ruhrgebiet hat erhebliche Standortstärken und auch Erfolge im Strukturwandel erreicht. Daran muss angesetzt werden zum Nutzen für die gesamte Region. Die verkehrsgünstige Lage und die große Erreichbarkeit innerhalb der EU, eine dichte und hervorragend vernetzte Universitäts- und Forschungslandschaft besonders im südlichen Ruhrgebiet zeichnen den Standort aus. Es haben sich wirtschaftliche Kerne mit hoher Spezialisierung und internationaler Relevanz herausgebildet – mit wettbewerbsfähigen Unternehmen im Bereich der Logistik, Chemie, des Stahls, des Maschinen- und Anlagenbaus, der Material- und Recyclingwirtschaft und der Telekommunikationswirtschaft. Das ist die Habenseite des Ruhrgebiets. Das Ruhrgebiet muss Vorreiter für eine digital gestützte zirkuläre Wirtschaft sein, bei der Wertstoffkreisläufe und neue Nutzungsformen (sharing economy) zusammengedacht werden. Für den ohnehin hervorragenden Logistikstandort eröffnen sich durch den Ausbau der „neuen Seidenstraße“ nach China große Chancen für neue Ansiedlungen und Arbeitsplätze. Auf diesen Stärken können wir aufbauen und fordern deshalb:

– einen Regionalen Zukunftsinvestitionsfonds zu schaffen: Ergänzend zur Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ wollen wir einen Zukunftsinvestitionsfonds für strukturschwache Regionen auflegen. Für die Aufstockung der beteiligten Programme in dem gesamtdeutschen System für strukturschwache Regionen müssen zusätzlich 2 Mrd. € zur Verfügung stehen, um dort prioritäre und notwendige Investitionen für den Aufholprozess einzusetzen. Dabei sollen vor allem Maßnahmen zur Innovation in der Industrie und der mit ihr verbundenen Dienstleistungen entlang des Leitbildes einer digital gestützten zirkulären Wertschöpfung als Voraussetzungen für das Gelingen eines erfolgreichen regionalen Strukturwandels förderfähig sein.
– einen Beauftragten der Bundesregierung für den Strukturwandel in Deutschland einzusetzen, um diese Aufgaben im Rahmen der Bundesregierung noch konsistenter zu koordinieren und zu gestalten. Regelmäßige Berichte ermöglichen das Monitoring des Strukturwandels und stellen den Fortschritt bei der Angleichung der Lebensverhältnisse sowie den positiven Beitrag zum bundesdeutschen Wirtschaftswachstum heraus.
– für eine neue Gründer- und Innovationskultur zu sorgen und Innovationsprozesse zu öffnen: Neue Finanzierungsmodelle mit öffentlichen und privaten Mitteln sind erforderlich, die gezielt entlang gesellschaftlicher Bedarfe neuer künftiger Leitmärkte Ressourcen für die Entwicklung neue Produkte und Dienstleistungen mobilisieren. Notwendig ist eine Verdoppelung des Volumens des Wagniskapitalmarkts in den kommenden Jahren gegenüber 2016 auch für das Ruhrgebiet. Der Zukunftsinvestitionsfonds soll ein entsprechend positives Investitionsklima dafür fördern. Offene Innovationsprozesse erleichtern das Zusammenspiel von Start-ups, bestehenden Unternehmen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Vor allem die traditionellen Konzerne und Banken müssen sich auf neuer Geschäftsmodelle einlassen. Mit Mitteln aus dem Zukunftsinvestitionsfonds könnten beispielsweise Projekte bei der Digitalisierung oder neuen Mobilitätslösungen gefordert werden, für die im Ruhrgebiet besondere Bedarfe wie auch das Knowhow bestehen. So könnte das Ruhrgebiet Schaufenster einer gelingenden Verkehrswende in Deutschland werden, das heißt mit abgas-freien öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), einem dichten Netz von Radverkehrsschnellwegen, e-mobiler Logistik und vernetzter Mobilität. Das Ruhrgebiet könnte auch mit einer „Innovation City Gesundheit“ Maßstäbe für eine digitalisierte, quartiersbezogene Gesundheitsversorgung setzen.
– bei der Flächenentwicklung zu helfen: Das Flächenpotenzial von mehr als 2000 Hektar Gewerbefläche im Ruhrgebiet muss schnell mobilisiert werden. Ein Kernproblem der Flächenentwicklung im Ruhrgebiet ist dabei die Finanzierung, denn durch Altlastensanierung wird Flächenentwicklung teuer! Mit den Mitteln eines neuen Grundstücksfonds kann kommunale Flächenentwicklung gezielt unterstützt werden.
– die Chancen der Energiewende und des Klimaschutzes für eine gute Entwicklung des Industriestandortes Metropolregion Ruhr zu nutzen: Wir setzen uns dafür ein, die Energiewende und den Klimaschutz im Ruhrgebiet noch gezielter als Fortschrittsmotor der Standortentwicklung zu nutzen. Welche Chancen vor allem die intelligente Verknüpfung von Ökonomie und Ökologie, von Arbeit und Umwelt schaffen, zeigt das zentrale Projekt der Expo Fortschrittsmotor Klimaschutz: Mit dem Roll out des Projektes Innovation City Bottrop verfolgen wir das Ziel, die in der Modellstadt Bottrop gesammelten Erfahrungen und Erkenntnisse zum klimagerechten Stadtumbau in die Metropole Ruhr hineinzutragen. In 20 Quartieren im Ruhrgebiet sollen integrierte Quartierskonzepte nach Bottroper Vorbild entstehen und umgesetzt werden. Mit dem gezielten Ausbau des Fernwärmeverbundnetzes im Ruhrgebiet schaffen wir nicht nur Versorgungssicherheit mit umweltfreundlicher Wärme aus Kraft-Wärme-Kopplung. Wir leisten damit auch einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung des Energiestandortes NRW.

– eine Experimentierklausel zu entwickeln: um Planungsbarrieren für 10 Jahre aufzuheben, braucht es Handlungsfreiheit, für die eine Experimentierklausel im geltenden Recht sorgen muss. Ein Arbeitskreis aus Wirtschaft, Verwaltung und Verbänden soll dafür Vorschläge erarbeiten.

2. Lebenswert wohnen im Ruhrgebiet: Städtebauliche Investitionen in das Wohnumfeld und die Qualität des Wohnens verbessern die Chancen der Menschen auf Teilhabe und Integration. Deshalb gilt es:

– bezahlbare Mieten zu sichern: Das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen muss mit Leben gefüllt werden. Deshalb fördern wir die Gründung neuer kommunaler und genossenschaftlicher Wohnungsbaugesellschaften. Sie erhalten leichteren Zugang zu Bauland und werden steuerlich entlastet. Für Baugesellschaften und Kleingenossenschaften gilt gleiches. Bezahlbare Mieten sichern verlangt auch: Wohnungsaufsichtsgesetz und Mietpreisbremse müssen erhalten bleiben!
– Wohnungsgemeinnützigkeit zu stärken: Unternehmen der Wohnungsgemeinnützigkeit werden gefördert, erhalten leichteren Zugang zu Bauland und werden steuerlich entlastet. Die Sozialbindung sowohl im sozialen wie auch im gemeinnützigen Wohnungsbau muss dauerhaft erhalten bleiben.
– ein attraktives Wohnumfeld zu schaffen: Investitionen in Wohnungen und in das Wohnumfeld verbessern um die Lebensqualität und erlebbare Heimat vor der Haustür zu schaffen. Soziale Wohnraumförderung und Städtebauförderung werden wir zur Quartiersentwicklung bündeln. Vorbild ist das Programm “Soziale Stadt“, das im Ruhrgebiet nach dem Prinzip von „Innovation City“ zum Leuchtturmprojekt ausgebaut wird. Innovation City Ruhr braucht den gezielten Einsatz von Bundesmitteln, damit das Ausrollen auf viele Stadtquartiere regionale Wirkung erzeugt.
– unsere Schulen zu sanieren, digitalisieren und modernisieren. Ein guter baulicher Zustand und eine gute Ausstattung einer Schule ist Voraussetzung für erfolgreiches Lernen. Ganztagsschule muss Stadtteilschule werden, die mehr bietet als Raum für Unterricht. Digitalisierung muss bei den Bildungseinrichtungen Standard sein. Wir wollen, dass im Ruhrgebiet die modernsten Schulen der Republik stehen! Dies braucht ein Sanierungs- und Modernisierungsprogramm als Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Land und Kommunen innerhalb eines Zehnjahreszeitraums.


3. Zeit für den Sozialen Arbeitsmarkt: Wir wollen den Menschen helfen, sinnerfüllt in unserer Gesellschaft zu leben, die aus eigener Kraft keine Chance auf den regulären Arbeitsmarkt haben. Wir wollen Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren. Auch hierzu ist das Ruhrgebiet mit der hohen Zahl von Langzeitarbeitslosen eine Region, wo zusätzliche Mittel gut und sinnvoll eingesetzt werden können.

4. Menschen für den Strukturwandel neu begeistern: Der Strukturwandel gelingt im Ruhrgebiet umso besser, je mehr er von den Menschen in der Region entwickelt und getragen wird. Deshalb sind Beteiligungsprozesse in den Regionen zu fördern. Über Ideenwettbewerbe, Modellvorhaben und Vernetzungen kann die Zivilgesellschaft beteiligt und so auch der soziale Zusammenhalt im Wandel gestärkt werden.

Mit diesem Maßnahmenpaket für Regionen mit besonderen Problembereichen wollen wir im Ruhrgebiet ein Signal setzen: wir nehmen ungleiche Chancen in den Regionen nicht hin und werden helfen, neues Wachstum zu erzeugen. Wir wollen den sich selbst verstärkenden Teufelskreis aus steigenden Soziallasten, sinkenden Innovationspotenzialen und überdurchschnittlich hoher (Langzeit-)Arbeitslosigkeit durchbrechen und sehen eine klare bundesstaatliche Verantwortung gegenüber dem Ruhrgebiet und strukturschwachen Regionen in vergleichbarer Lage.