Weil die Welt heilbar ist.

Ein Staat, der sich nicht am Ziel der Gerechtigkeit orientiert, ist nichts anderes als eine gemeine Räuberbande. Damit ist das Wichtigste gesagt, was es über Staat und Politik zu sagen gäbe, in jedem Fall das Wichtigste, was man über die Politik des Zitierten sagen kann: über die Politik von Johannes Rau. Der Gerechtigkeit – und dem Frieden! – hatte er sein politisches Leben gewidmet. Und was für ein politisches Leben das war!

Begonnen hatte alles in den frühen Fünfzigerjahren. Aus Protest gegen die Wiederbewaffnungspolitik Adenauers engagierte sich der junge Rau zunächst in der Gesamtdeutschen Volkspartei bis er 1957 seinem Mentor Gustav Heinemann in die SPD folgte. Dann ging es los: Johannes Rau wurde Landtagsabgeordneter, Oberbürgermeister von Wuppertal, Wissenschaftsminister in Nordrhein-Westfalen und ab 1978 NRW-Ministerpräsident. Das blieb er zwanzig Jahre lang. Im Mai 1999 wurde er zum achten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt.

In jedem Amt und jedem Lebensabschnitt leitete ihn die protestantische Losung „Teneo quia teneor“ („Ich halte aus, weil ich gehalten werde“): Man muss für seine Glauben einstehen – und für seine Überzeugungen. Jeder Mensch hat ein Recht auf einen Anteil am Sagen und Haben. Demokratie und soziale Gerechtigkeit sind aufeinander angewiesen. Als zu Beginn dieses Jahrhunderts der Sozialstaat in Verruf gebracht wurde, hielt Johannes Rau dagegen: »Eine Gesellschaft, die alle Lebensbeziehungen den Gesetzen des Marktes unterwirft, trägt Anzeichen von totalitärer Ideologie. (…) Die gerechte Verteilung des gemeinsam Erarbeiteten ist eine Frage des Anstandes und der Menschenwürde.« Der Bundespräsident war damals eine Provokation für einen Zeitgeist, dem die Marktfreiheit die einzige Freiheit zu sein schien, die etwas zählte.

Dabei ging es Johannes Rau nie um die Verteilung von Almosen. Ein gerechter Staat  – davon war er überzeugt – sorgt dafür, dass jeder Mensch ein selbstbestimmtes Leben führen kann. Fortschritt muss immer auch sozialer Fortschritt sein. Als der Strukturwandel in Nordrhein-Westfalen zuschlug, setzte er mit Zukunftsinvestitionen dagegen. Er konnte nicht alle sozialen Probleme lösen, die Kohle- und Stahlkrisen hinterlassen haben. Aber dank seiner Politik ist unser Land heute ein europäisches Zentrum für Industrie, Handel, Kultur und Wissenschaft. Nirgendwo gibt es mehr Museen und Theater. In keinem Land gibt es mehr Universitäten, Fachhochschulen und Forschungseinrichtungen. Johannes Rau hat Maßstäbe gesetzt, an denen sich seine Nachfolger messen lassen müssen.

Sein großes Thema als Bundespräsident war der Zusammenhalt in einer Gesellschaft von Menschen, die nicht nur verschiedene Hautfarben haben, sondern auch unterschiedlich glauben und lieben. Lassen Sie uns gemeinsam für ein Deutschland sorgen, in dem man ohne Angst verschieden sein kann“, forderte er die Deutschen immer wieder auf, wohlwissend, dass jeder, der ein solches Deutschland will,  mit aller Macht den Rechtsradikalismus bekämpfen muss. Wir müssen uns fragen, so bemerkte er einmal, ob Polizei und Strafvollzugsbehörden, Justiz und Jugendämter sachlich, personell und konzeptionell ausreichend darauf vorbereitet sind, mit Fremdenhass und Gewalt umzugehen.Wie würde unsere Antwort heute ausfallen? Seine Reden haben bis heute nichts an Aktualität eingebüßt. Leider.

Vor 15 Jahren ist Johannes Rau verstorben. Morgen wäre er 90 Jahre alt geworden. Er fehlt. Aber wenn ich mich an ihn erinnere, dann spüre ich auch wieder den Tatendrang und den Optimismus, der Christentum und Sozialdemokratie gleichermaßen eigen ist und ohne den politisches Engagement sinnlos wäre.

Wir sollten unseren Kindern nicht vorgaukeln, die Welt sei heil. Aber wir sollten in ihnen die Zuversicht wecken, dass sie heilbar ist.  

Das ist sie.

Ruhe in Frieden, Johannes Rau.

Glückauf Nordrhein-Westfalen!

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