Vereinbarkeit von Familie und Beruf – Paradoxe Gleichzeitigkeit von Wandel und Beständigkeit

Der Workshop sollte Gelegenheit bieten, Erfahrungen der letzten anderthalb Jahre auszutauschen und zukünftige Herausforderungen der Väterarbeit zu identifizieren. Die Fragestellung des Workshops lautete daher, wie sich Beratungsbedarfe von Vätern unter Corona verändert haben, welche Zielgruppen wir mit den Beratungsangeboten (nicht) erreichen und wie sich Beratung online gestalten lässt. Allein für den letzten Punkt hätten wir einen eigenen Fachtag benötigt.

Aber worüber schreibe ich eigentlich? Nun, die Verteilung von Erwerbs- und Familienarbeit ist in unserer Gesellschaft noch immer stark geschlechtlich geprägt. Zugespitzt formuliert: Die Mutter managt den Haushalt, umsorgt die Kinder und geht höchstens in Teilzeit arbeiten. Der Vater ist für das Familieneinkommen zuständig, liest den Kindern abends etwas vor und spielt mit ihnen am Wochenende auf dem Spielplatz. Mental Load nennen wir die Belastung der Mutter, Financial Load die Belastung des Vaters. Daran zeigt sich, dass unsere Gesellschaft immer noch in einem Strukturkonservatismus vergangener Jahrzehnte gefangen ist. In Vorträgen sage ich dann gerne: „Paare gehen gleichberechtigt in den Kreißsaal und kommen als Familie der 60er Jahre wieder nach Hause.“

Das spiegelt sich auch im aktuellen Väterreport der Bundesregierung wider. Zwar wünschen sich 55% der Väter mehr Zeit für die Betreuung der eigenen Kinder, aber nur 17% der Eltern teilen sich die Kinderbetreuung partnerschaftlich auf. Das liegt auch an der Vollzeiterwerbsquote der Väter von 87% und der stark gestiegenen Erwerbstätigkeit der Mütter. Corona hat die Belastung in den Familien verschärft und zu einer Re-Traditionalisierung geführt. Der Gender Care Share, also der prozentuale Anteil in heterosexuellen Paarhaushalten, den Frauen an den insgesamt anfallenden Stunden für Sorgearbeit leisten, liegt aktuell bei 67,2%. Das bedeutet, dass 2/3 aller Frauen zuständig für die Fürsorgearbeiten in der Familie sind. An dieser Stelle muss ich erwähnen, dass Re-Traditionalisierung nicht ganz stimmt, denn wer genau hingeschaut hat erkennt, dass deutsche Familien seit den 1960ern in traditionellen Rollenmustern leben.

Dass sich die Bedarfe verändert haben, liegt scheinbar auf der Hand. Zwar befinden sich die Väter nach wie vor in einem Loyalitätskonflikt zwischen Familie und Beruf, doch statt im Büro arbeiten sie nun von zu Hause. Es haben sich also die strukturellen Rahmenbedingungen verändert und weniger die Themen. Partnerschaftskonflikte, Erziehungsfragen und häusliche Gewalt sind immer noch die klassischen Anliegen, mit denen Väter zu uns kommen oder zu uns geschickt werden. Denn Beratung findet nicht immer freiwillig statt, sondern auch im Kontext von richterlicher Anordnung. Dadurch, dass auch die Berater*innen im Home Office arbeiteten, können sie nun allerdings noch flexibler auf die zeitliche Verfügbarkeit der Väter reagieren. So finden viele Beratungen am späten Nachmittag und abends statt.

Befürchtungen, dass die Beratung an Tiefe und Qualität verliert, konnten die Kolleg*innen zwar nicht bestätigen, aber auch nicht ganz ausräumen. Seit Paul Watzlawick wissen wir, dass jede Kommunikation einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt hat, also verbal und nonverbal abläuft. Vor allem Gestik, Mimik und Tonfall werden durch Online Beratungen stark eingeschränkt. Dennoch wollen die Beratungsstellen an Online Angeboten festhalten.

Aber wie erreichen wir diese Väter, wenn sie »Home Office« machen und für Familienangebote nicht greifbar sind? Präventiv frühestens beim Geburtsvorbereitungskurs, zu dem Väter mehr oder weniger freiwillig gehen. Aber schon kurz nach der Geburt sind sie nur noch für ein paar Tage greifbar und dann wird’s schwierig. Wenn nicht auf dem Spielplatz oder beim Spaziergang tauchen Väter oft erst im Kindergarten wieder auf. Koordinierungsstellen der Frühen Hilfen erkennen zunehmend, dass echte Gleichberechtigung und familiärer Zusammenhalt nur gemeinsam mit den Vätern gelingen kann. Hier müssen kooperative Angebote mit Familienzentren entwickelt und in die breite Fläche angeboten werden.

Aktive Väter sind vor allem an einer partnerschaftlichen Aufgabenteilung in Familie und Beruf interessiert. Sie fühlen sich genauso verantwortlich für die Erziehung der Kinder wie die Mutter. Wichtig ist mir zu betonen, dass die Väter nicht „unterstützen“, sondern ihre Verantwortung selbstbewusst und selbstbestimmt wahrnehmen. Sie nehmen Elternzeit, um väterliche Kompetenzen zu erwerben und nicht um sich handwerklich im Haus zu betätigen. Sie beteiligen sich stärker als andere Väter an der Kinderbetreuung und -versorgung, denken an Termine beim Kinderarzt, kennen die Geburtstage der Kinder, die Namen ihrer Freunde und nehmen sich Zeit für die Familie.

Eine Stärkung der väterlichen Rechte und Pflichten kann nur dann gelingen, wenn wir strukturelle Verhältnisse schaffen und individuelle Verhaltensweisen begleiten. Von der Politik wünsche ich mir eine engere Verzahnung von Familienzentren mit Berater*innen der Jungen-, Männer- und Väterarbeit. Lassen Sie uns präventiv ansetzen und gemeinsame Rahmenbedingungen schaffen, in denen wir Väter nicht nur in der Entwicklung ihrer aktiven Vaterrolle begleiten, sondern Unternehmen und Organisation für väterorientierte Personalpolitik sensibilisieren. Denn Vaterschaft ist mehr als Geldverdienen oder der Spielplatzheld zu sein.

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