„Sozialdemokratische Bildungspolitik: Der ewige Kampf gegen Ungleichheit

Die deutsche Wohlfahrtspolitik ist seit 150 Jahren „subsidiär“ orientiert und sieht die Familie als Zentrum des „natürlichen“ sozialen Netzwerkes von Kindern an, das so weit wie möglich vor jedem staatlichen Eingriff, auch dem des Bildungssystems, verschont werden sollte. Hierdurch wird der Bildungspolitik eine untergeordnete, der Sozialpolitik eine übergeordnete Rolle zugesprochen. Die Folge ist ein für einen hoch entwickelten demokratischen Staat zu geringes Bildungsbudget mit der Folge eines erschreckend niedrigen Bildungsniveaus der Bevölkerung und einer beängstigend großen Leistungsungleichheit nach sozialer Herkunft.

Sozialdemokratische Politik hat diese Ausgangslage schon immer als eine Herausforderung wahrgenommen, weil hierdurch die Bildungs-potentiale vor allem der jüngeren Bevölkerungsmitglieder nicht richtig erkannt und unzureichend gefördert sowie wichtige gesellschaftliche Innovationen blockiert werden. Entsprechend hat sie sich darum bemüht, die Pfad-abhängigkeit der Wohlfahrtspolitik mit ihrer einseitigen Betonung der sozialen Sicherung von Familienhaushalten abzuschwächen und Sozial-, Familien- und Bildungspolitik stärker als bisher aufeinander abzustimmen.

Sozialdemokratische Bildungspolitik in Deutschland war und ist in dieser Sicht strukturell ein Kampf gegen eine konservativ ausgerichtete, die bestehenden Familienstrukturen konservierende Sozialpolitik. Einer Sozialpolitik, die Familien von der Position vor allem des männlichen
Familienmitgliedes im Arbeitsmarkt abhängig macht und alle Sicherungs-strukturen hierauf auslegt. Die auf diese Weise strukturell die Emanzipation von Frauen blockiert, weil das finanzielle Sicherungssystem und die Steuergesetzgebung Anreize für die Berufstätigkeit von Männern bieten. Einer Sozialpolitik, die gut situierte Familien in die Lage versetzt, ihren Kindern effiziente Unterstützung für den schulischen Bildungsweg und die spätere Berufsauswahl zukommen zu lassen und sozioökonomisch schwache Familien hierbei systematisch benachteiligt.

Der mächtigste Verbündete für die sozialdemokratische Reformpolitik war in den zurückliegenden Jahrzehnten die Wissenschaft. Sie brachte immer wieder eindeutige Belege, die den Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg bestätigten und zeigten, dass die Förderung von Leistung und Persönlichkeit eines Kindes nur dann wirkungsvoll möglich ist, wenn Familien und Bildungseinrichtungen eng kooperieren.

Studien zeigen immer wieder: Der überdurchschnittlich hohe Erfolg von Kindern aus statushohen Familien ist nur deshalb möglich, weil es den Eltern gelingt, sich mit Kindergärten und Schulen für die Entwicklung ihrer Kinder zu verbünden. Sozial benachteiligten Eltern gelingt das nicht. Ein vorrangiges Ziel der sozialdemokratischen Bildungspolitik liegt deswegen darin, die Erziehungs- und Bildungspartnerschaft von Familie, Kindertageseinrichtung und Schule zu fördern.

Die wissenschaftliche Bildungsforschung spricht sich darüber hinaus für drei zentrale Reformschritte aus, um die Ungleichheit zu überwinden:

  • Den Ausbau der Vorschulerziehung mit einem möglichst hohen Anteil von Kindern in Kindertagesstätten;
  • die Entwicklung zum Ganztagsangebot in Kitas und Schulen und
  • eine möglichst spät in der Bildungslaufbahn einsetzende Aufteilung der Kinder in unterschiedliche Schultypen nach ihrem bis dahin erreichten Leistungsstand.

Alle drei Schritte sollten dementsprechend auch im Bundesland Nordrhein-Westfalen in den nächsten Jahren wieder weit vorne auf der bildungspolitischen Agenda stehen. Nur so kann der ewige Kampf gegen die Ungleichheit gewonnen und das Potential des Bildungssystems gestärkt werden, die schulischen Leistungen bei allen Kindern unabhängig von den Vorgaben des Elternhauses zu erhöhen.

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