Am morgigen Samstag wäre Johannes Rau 90 Jahre alt geworden. Der frühere Bundespräsident und NRW-Ministerpräsident hat unser Bundesland wie kein anderer geprägt. Thomas Kutschaty, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag NRW, würdigt Johannes Raus Lebensleistung wie folgt:

„Morgen wäre Johannes Rau 90 Jahre alt geworden. Vor fast 15 Jahren ist er verstorben. Er fehlt. Was es über Staat und Politik zu sagen gibt, hat er stets auf den Punkt gebracht: „Ein Staat, der sich nicht am Ziel der Gerechtigkeit orientiert, ist nichts anderes als eine gemeine Räuberbande.“ Der Gerechtigkeit und dem Frieden hatte er sein politisches Leben gewidmet. Was für ein politisches Leben das war!

Begonnen hatte alles in den frühen Fünfzigerjahren. Aus Protest gegen die Wiederbewaffnungspolitik Adenauers engagierte sich der junge Rau zunächst in der Gesamtdeutschen Volkspartei bis er 1957 seinem Mentor Gustav Heinemann in die SPD folgte. Dann ging es los: Johannes Rau wurde Landtagsabgeordneter, Oberbürgermeister von Wuppertal, Wissenschaftsminister in Nordrhein-Westfalen und ab 1978 NRW-Ministerpräsident. Das blieb er zwanzig Jahre lang. Im Mai 1999 wurde er zum achten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt.

In jedem Amt und jedem Lebensabschnitt leitete ihn die protestantische Losung ‚Teneo quia teneor‘ (‚Ich halte aus, weil ich gehalten werde‘): Man muss für seine Glauben einstehen – und für seine Überzeugungen. Jeder Mensch hat ein Recht auf einen Anteil am Sagen und Haben. Demokratie und soziale Gerechtigkeit sind aufeinander angewiesen. Als zu Beginn dieses Jahrhunderts der Sozialstaat in Verruf gebracht wurde, hielt Johannes Rau dagegen: ‚Eine Gesellschaft, die alle Lebensbeziehungen den Gesetzen des Marktes unterwirft, trägt Anzeichen von totalitärer Ideologie. (…) Die gerechte Verteilung des gemeinsam Erarbeiteten ist eine Frage des Anstandes und der Menschenwürde.‘ Der Bundespräsident war damals eine Provokation für einen Zeitgeist, dem die Marktfreiheit die einzige Freiheit zu sein schien, die etwas zählte.

Dabei ging es Johannes Rau nie um die Verteilung von Almosen. Ein gerechter Staat  – davon war er überzeugt – sorgt dafür, dass jeder Mensch ein selbstbestimmtes Leben führen kann. Fortschritt muss immer auch sozialer Fortschritt sein. Als der Strukturwandel in Nordrhein-Westfalen zuschlug, setzte er mit Zukunftsinvestitionen dagegen. Er konnte nicht alle sozialen Probleme lösen, die Kohle- und Stahlkrisen hinterlassen haben. Aber dank seiner Politik ist unser Land heute ein europäisches Zentrum für Industrie, Handel, Kultur und Wissenschaft. Nirgendwo gibt es mehr Museen und Theater. In keinem Land gibt es mehr Universitäten, Fachhochschulen und Forschungseinrichtungen. Johannes Rau hat Maßstäbe gesetzt, an denen sich seine Nachfolger messen lassen müssen.

Sein großes Thema als Bundespräsident war der Zusammenhalt in einer Gesellschaft von Menschen, die nicht nur verschiedene Hautfarben haben, sondern auch unterschiedlich glauben und lieben. ‚Lassen Sie uns gemeinsam für ein Deutschland sorgen, in dem man ohne Angst verschieden sein kann‘, forderte er die Deutschen immer wieder auf, wohlwissend, dass jeder, der ein solches Deutschland will,  mit aller Macht den Rechtsradikalismus bekämpfen muss. Seine Reden haben bis heute nichts an Aktualität eingebüßt. Leider.“