In der gemeinsamen Sitzung des Ausschusses für Familie, Kinder und Jugend und des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales fand heute die Sachverständigenanhörung zum Antrag der SPD-Fraktion „Trauma ‚Verschickungskind‘. Verschickt um gesund zu werden – Demütigung und Gewalt gegen Kinder in Kinderheilanstalten“ statt. Hierzu erklären Dennis Maelzer, familienpolitischer Sprecher, und Josef Neumann, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Landtag NRW: 

Dennis Maelzer:

„Als ich die Kinderverschickung im vergangenen Frühjahr zum Thema im Landtag gemacht habe, kannte das Land lediglich drei Verschickungsheime in ganz NRW. Betroffene haben hingegen 179 Heime in unserem Bundesland recherchiert, hinzu kommen 46 Einrichtungen außerhalb NRWs, für die NRW-Institutionen Verantwortung trugen. Aus NRW wurden zudem Millionen Kinder verschickt. NRW hat hier deshalb eine besondere Verantwortung.

Ich bin froh, dass wir den Betroffenen der Kinderverschickungen heute Gehör verschaffen konnten. Während der Verschickung haben sie zum Teil unvorstellbares Leid und Unrecht erfahren müssen. Das haben die Vertreterinnen und Vertreter der Vereine heute eindrücklich geschildert. Viele der Betroffenen hatten bis jetzt noch keine Möglichkeit, ihr Leid zu verarbeiten oder aufzuarbeiten. Wir müssen als Land unserer Verantwortung nachkommen und den Betroffenen die Unterstützung zukommen lassen, die ihnen bisher verwehrt wurde.

Für uns ist es wichtig, dass die in der Anhörung betonte positive Haltung aller Fraktionen kein Lippenbekenntnis bleibt. Wir streben ein parteiübergreifendes Signal an. Dazu gehört neben der Anerkennung der kollektiven Schuld auch die Anerkennung des kollektiven Versagens von Bund, Land, Kommunen, der Träger und auch der Öffentlichkeit. Die Verantwortung darf hier nicht wie beim Staffellauf weitergegeben werden. Der Prozess der Aufarbeitung muss auch durch das Land Nordrhein-Westfalen organisiert werden.

Für mich ist es jetzt außerdem wichtig, dass die pädagogische Aufarbeitung stattfindet. Wir müssen davon ausgehen, dass das pädagogische Personal der Verschickungsheime in anderen Einrichtungen weitergearbeitet und entsprechend erlernte Praktiken im Umgang mit Kindern weitergetragen hat.“

Josef Neumann:

„Wichtig ist für mich, dass wir alle aus der Aufarbeitung und dem Wissen der Runden Tische zur Heimerziehung und des sexuellen Missbrauchs gelernt haben. Wir müssen die Nachfolgeorganisationen in die Aufarbeitung einbeziehen und die Daten und Fakten auswerten, die noch in den Archiven der jeweiligen Organisationen und Institutionen zu finden sind. Unser oberstes Ziel ist es, dass die Betroffenen die Hilfe bekommen, die sie brauchen.

Dafür müssen wir uns gemeinsam unserer Verantwortung stellen und so Stolpersteine und Barrieren aus dem Weg räumen. Nur so kann eine Aufarbeitung gelingen. Deswegen ist es unverantwortlich, dass die Kommunalen Spitzenverbände in der heutigen Anhörung versucht haben, sich ihrer Verantwortung zu entziehen. Das haben auch die Betroffenen deutlich gemacht. Sie wünschen sich zurecht eine unabhängige Trägerforschung und eine wissenschaftliche Aufarbeitung.

Wir müssen jetzt dafür Sorge tragen, dass die Betroffenen diese Aufarbeitung auch miterleben und begleiten können. Eine Verschiebung dieser Verantwortung geht zu Lasten der Betroffenen. Die beiden Landschaftsverbände in NRW haben sich bereits in den schriftlichen Stellungnahmen entsprechend positioniert. Die Aufgeschlossenheit des Landschaftsverbands Rheinland, die eigenen Verantwortung anzuerkennen, stimmt mich positiv. Gleiches gilt für die DAK Gesundheit, die sich ihrer Verantwortung bereits stellt und eine Aufarbeitung begleitet und unterstützt.

Wenn sich eine Institution öffnet, dann können sich die anderen nicht mehr verschließen. Auch das Land muss seiner eigenen Verantwortung nachkommen, und für eine umfassende Aufarbeitung in NRW sorgen. Es gilt nun, dass alle demokratischen Fraktionen des Landtags gemeinsam für gute Lösungen im Sinne der betroffenen Menschen arbeiten.“