Anrede,
auf der Pressekonferenz zur Bilanz seiner ersten 100 Tage im Amt zitierte der Ministerpräsident den verstorbenen Heiner Geißler: „Wenn Du etwas bewegen willst, musst Du Krach anfangen.“ Um dann fügte Herr Laschet hinzu: Es könne sein – man beachte den Konjunktiv! – es könne sein, dass das mal erforderlich werde, denn andere Länder und andere bei CDU, FDP und Grünen hätten “die besondere Industriekultur Nordrhein-Westfalens nicht so im Blick“.

Was für ein Satz! Tragisch und komisch zugleich!

Während die Stahlsparte von ThyssenKrupp mit dem indischen Konzern Tata fusioniert werden soll, wendet Armin Laschet seinen Blick nach Berlin, dem eigenen Land wendet er den Rücken zu.

Er belehrt andere mit erhobenem Zeigefinger über Industriepolitik und ist in diesem Augenblick doch der einzige Ministerpräsident, der den eigenen Industriestandort nicht im Blick hat.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
lieber Herr Laschet,
20.000 Stahlarbeiterinnen und Stahlarbeiter in NRW kämpfen gerade verzweifelt um ihre Jobs. Es ist Zeit, einen Krach anzufangen! Nicht vielleicht irgendwann in Jamaika. Sondern jetzt und hier! In Nordrhein-Westfalen! Für die Stahlstandorte in Duisburg und Bochum, in Dortmund, Hagen und Gelsenkirchen, in Finnentrop und in Siegen-Kreuztal. Für die Industriekultur Nordrhein-Westfalens, für die Mitbestimmung, für sichere Arbeitsplätze!

Es ist Zeit, einen Krach anzufangen! Mit der Kapitalseite von ThyssenKrupp, mit Tata, mit der Bundesregierung und der EU – und wenn es sein muss auch mit dem Steuerdumpingland Niederlande.

Im Land demonstrieren tausende Beschäftige für ihre Zukunft. Es ist Zeit, ihnen zuzuhören und sich für das Handeln zu entscheiden! Doch das tun Sie nicht, Herr Laschet. Sie stecken die Hände in die Hosentaschen und zucken mit den Schultern: Die Sicherung von Standorten und Arbeitsplätzen wäre schön, der Erhalt der Montanmitbestimmung wäre erfreulich. Aber die Landesregierung könne dafür nichts tun. Das Unternehmen entscheide. Punkt und Ende der Geschichte.

Es ist nicht zu fassen! In Berlin wäre der Ministerpräsident gerne ein Riese. Das Handelsblatt hat ihn schon zum König der Talkshows gekrönt. Aber hier in Nordrhein-Westfalen gibt er den politischen Knirps.

Wie oft hat der heutige Ministerpräsident und frühere Oppositionsführer versprochen, um jeden Arbeitsplatz in Nordrhein-Westfalen kämpfen zu wollen! Und jetzt, wenn es drauf ankommt, diese Gleichgültigkeit!

Es ist offensichtlich: Diese Mitte-Rechts-Regierung kennt die Industriekultur unseres Landes nur vom Hörensagen – und die Zukunftsängste der Beschäftigten aus dem Pressespiegel! Die CDU-Fraktion hatte sich ja sogar gegen die Großdemonstration in Bochum ausgesprochen.

Der einzige aus Ihren Reihen, der wusste, dass man so etwas nicht macht, war der Arbeits- und Sozialminister. Der einzige, der den Anstand hatte, sich den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern von ThyssenKrupp zu stellen, war Karl-Josef Laumann. Und der hat dann auch etwas sehr Wahres gesagt: „Da, wo man gut behandelt wird, geht man nicht weg. Ich stelle mir Dankbarkeit anders vor. ThyssenKrupp gehört nach Nordrhein-Westfalen – auch was den Firmensitz angeht.“

Recht hat er. Seine Empörung war echt und aufrichtig.
Er meinte, was er sagte. – Daran habe ich keine Sekunde gezweifelt.

Doch ich habe allen Grund daran zu zweifeln, dass hier ein Minister für seine Regierung gesprochen hat – und nicht nur der Privatmann Laumann für sich selbst. Der Wirtschaftsminister hat ja schon kundgetan, dass die Landesregierung die Fusion vorbehaltlos unterstützt. Der Abbau von mindestens 2000 Arbeitsplätzen wird eingepreist und hingenommen.

Die Verlagerung des Firmensitzes in das Steuerdumpingland Niederlande wird billigend in Kauf genommen, die endgültige Aushebelung der Montanmitbestimmung als Preis für eine Konsolidierung beschönigt. Schlimmer noch: Im Wirtschaftsausschuss bemühten sich die FDP-Abgeordneten Brockes und Bombis nicht einmal, ihre Freude über die Verlagerung des Firmensitzes zu unterdrücken.

Der bevorstehende Schlag gegen das solidarische Steuer- und Mitbestimmungsland Deutschland ist für sie eine Frohlockung. Die steuerlichen Rahmenbedingungen in den Niederlanden seien einfach besser als bei uns.

Wissen die beiden denn nicht, dass die EU-Kommission gegen die Niederlande wegen des rechtswidrigen Steuerdumpings ermittelt? Selbstverständlich wissen sie das! Aber Steuerdumping stört sie nicht. Es ist der Kampf gegen Steuerdumping, der sie stört. Da bleiben sie sich treu.

Hat der Ministerpräsident die unfaire, ökonomisch schädliche und letztendlich auch europafeindliche Steuerpraxis der Niederlande bei seinem Besuch in Den Haag zum Thema gemacht? Offensichtlich nicht!

Das wäre aber seine Pflicht gewesen, als Anwalt der Interessen Nordrhein-Westfalens und als ein Ministerpräsident, der für die europäische Idee werben muss und will.

Ist der Grund Ihrer Tatenlosigkeit im Falle ThyssenKrupp nicht genau jene Industriekultur, Herr Laschet, die Sie vorgeben, schützen zu wollen? Mitbestimmungsrechte, starke Gewerkschaften und ein hoher Organisationsgrad in der Belegschaft.

Fällt diese Burg der Sozialpartnerschaft in NRW, ist ein weiteres Hindernis für Ihre Marktentfesselungsideologie aus dem Weg geräumt. Ist das nicht der wahre Grund? Wenn nicht, dann beweisen Sie es! Handeln Sie endlich! Noch ist es nicht zu spät.

Anrede,
draußen auf dem Rhein demonstrieren die Beschäftigten für ihre Arbeitsplätze und ihre Mitbestimmungsrechte. Ja, sie sind wütend, weil sich ihr Ministerpräsident bisher nicht für ihre Interessen eingesetzt hat.

Dabei ist sein Motto doch „Zuhören, Entscheiden, Handeln“. Was ist dieses Motto denn tatsächlich wert? Wenn Ihren Worten keine Taten folgen, dann werden die Menschen in NRW schon bald Ihre Floskelungeheuer unter einer Platte aus Argwohn und Nichtbeachtung begraben und vermodern lassen, Herr Ministerpräsident.

Noch ist es nicht soweit! Die Arbeiterinnen und Arbeiter von ThyssenKrupp sind auch deshalb hier, weil sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben haben. Sie hoffen noch immer auf ihren Ministerpräsidenten.

Gewiss: Sie können dem Konzern keine Befehle erteilen. Ich weiß das und die Beschäftigen wissen das auch. Aber Sie können Druck machen und einen Krach anfangen. Sie können einen Stahlgipfel einberufen, Alternativen entwickeln, überzeugen und vermitteln. Sie hätten uns an Ihrer Seite. Und Sie hätten die
Beschäftigten an Ihrer Seite.

Einen solchen Kampf kann man auch verlieren, aber das ist kein Grund, ihn nicht zu führen. Die Beschäftigten wollen Sie kämpfen sehen, Herr Laschet! Fangen Sie damit an!

Die Stahlsparte von ThyssenKrupp muss in Nordrhein-Westfalen bleiben, mit Konzernsitz und Montanmitbestimmung. Und dafür werben wir in namentlicher Abstimmung auch bei den Regierungsfraktionen.

Herzlichen Dank und Glückauf!