Wer privat einen Angehörigen pflegt, bekommt zu wenig Hilfe. Wer beruflich im Pflege- und Gesundheitsbereich arbeitet, erlebt teils schlechte Arbeitsbedingungen. Das wollen wir ändern.
Wie ist die Lage?
Wenn ein Mensch pflegebedürftig wird, gibt es ganz unterschiedliche Möglichkeiten. Vielleicht springt die Tochter ein. Neben der Arbeit als Friseurin kümmert sie sich noch um ihren Vater. Wie lange wird sie gefordert sein? Vielleicht Jahre. Wird sie öffentliche Unterstützung erhalten? Die Unterstützungsleistungen der sozialen Pflegeversicherung sind nicht ausreichend. Eine andere Familie leistet sich eine Pflegekraft aus Osteuropa. Ihre Arbeit? Unverzichtbar. Das Arbeitsverhältnis? Alles andere als rechtssicher. Ein Grundschullehrer im Ruhestand zieht in ein Pflegeheim. Die Mitarbeiter dort? Arbeiten am Limit. Entlastung durch Nachwuchs für offene Stellen? Nicht in Sicht.
Unser Gesundheits- und Pflegesystem ist in vielerlei Hinsicht an seine Belastungsgrenze gekommen. Und die Herausforderungen werden noch steigen. Ein Grund: Der demografische Wandel. Mehr Menschen werden in einer alternden Gesellschaft pflegebedürftig. Defizite werden sich also weiter verschärfen.
Aktuell leben bei uns in NRW etwa 965.000 pflegebedürftige Menschen. Rund ¾ von ihnen werden zuhause versorgt. Mehr als die Hälfte dieser Gruppe wird von Angehörigen gepflegt. Das bindet viel Zeit. Eine Langzeitpflege dauert im Schnitt acht Jahre. Die eigentlich staatliche Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge wird so oft an Angehörige ausgelagert. Sie brauchen dringend mehr Unterstützung. Doch Angebote zur Beratung und Orientierung in der Pflege sind nicht ausreichend vorhanden.
Eine zweite unverzichtbare Gruppe in der häuslichen Pflege sind Betreuungskräfte, die vor allem aus Osteuropa kommen. Zehntausende Menschen arbeiten als Live-in-Pflegekräfte in Nordrhein-Westfalen. Diese Gruppe ist unserer öffentlichen Wahrnehmung oft unsichtbar. Dabei würde ohne sie die häusliche Pflege nicht funktionieren. In der Art der Arbeitsverhältnisse spiegelt sich diese Bedeutung viel zu selten wieder. Die Pflegekräfte arbeiten allzu oft in Rechtsunsicherheit.
Freilich sind auch alle weiteren Beschäftigten in der Pflege Garanten für ein funktionierendes System. Doch: Während die Zahl der Pflegebedürftigen steigt, sinkt die Zahl der Fachkräfte. Schließlich steigt die Generation der „Babyboomer“ nach und nach aus dem Berufsleben aus. Nachwuchs fehlt. Das setzt die ambulante Versorgung unter enormen Druck.
Die Bedingungen, einen Beruf in der Pflege zu ergreifen, sind für viele zu abschreckend.
- Die Arbeitsbelastung ist massiv.
- Gehälter für medizinisches und pflegerisches Personal stehen in keinem Verhältnis zu der anspruchsvollen Arbeit, die sie tagtäglich leisten.
- Es ist also höchste Zeit zu handeln. Der aktuellen Landesregierung fehlt leider eine Strategie für eine zukunftssichere Versorgung.
- Die durchschnittliche Verweildauer im Pflegeberuf liegt bei rund sechs Jahren. Die schlechten Bedingungen treiben die Menschen aus dem Beruf – wir verlieren Wissen und Ressourcen, auf die wir eigentlich nicht verzichten können.
Diese dramatische Entwicklung zeichnet sich seit Jahren ab – auch bei den nicht gesundheitlichen Dienstleistungen im Krankenhaus. Ohne nichtmedizinische Beschäftigte wie Reinigungskräfte, Logistik- und Küchenpersonal läuft gar nichts. Allerdings lagern besonders private Krankenhausbetreiber diese Berufsgruppen oft aus. Die Idee: Nur nach Spartentarifverträgen zahlen und so Gewinne auf Kosten der Beschäftigten maximieren. Das darf nicht sein.
Was muss passieren?
Die Friseurin, die ihren Vater pflegt. Die Pflegekraft aus Osteuropa. Die Mitarbeiterin im Pflegeheim. Sie alle verdienen die beste Unterstützung für ihren unglaublichen Einsatz. Dafür wollen wir einiges anpacken und verändern.
Für Angehörige, die ihre Liebsten pflegen, wollen wir weitreichende Unterstützung. Das heißt:
- Pflegestützpunkte müssen im ganzen Land ausgeweitet werden.
- Dort wollen wir Pflegebedürftige und ihre Angehörige unabhängig beraten und unterstützen, schon bevor sie erste Leistungen beantragen.
- Eine frühzeitige Begleitung kann auch stationäre Aufenthalte verhindern.
Um der Vorsorgeherausforderung zu begegnen, brauchen wir auch neue Ansätze. In Rheinland-Pfalz gibt es ein kluges Modell namens „Gemeindeschwester“. Vielen ist dieses Konzept auch als „Community-Health-Nurse“ bekannt. Das müssen wir in Modellkommunen in NRW erproben.
- Die Gemeindeschwestern beraten und unterstützen Seniorinnen und Senioren in ihrer aktuellen Lebenssituation.
- Sie sind Pflegefachkräfte mit langjähriger Berufserfahrung.
- Die Gemeindeschwester ist aber nicht nur beratend tätig. Sie vermittelt auch zwischen regionalen Netzwerken und sozialen Unterstützungsangeboten. So kann sie verschiedene Versorgungsebenen besser zusammenführen.
Für Pflegekräfte aus Osteuropa brauchen wir dringend rechtssichere Beschäftigungsverhältnisse. Das Land NRW muss sich dafür auf Bundesebene stark machen. Denn es geht um Menschen, die systemrelevant für unsere Gesellschaft sind.
Um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Pflege- und Gesundheitsbereich zu entlasten, braucht es verschiedene Maßnahmen. Neben der klassischen ambulanten Pflege müssen wir alternative Unterstützungsangebote und die Digitalisierung des unmittelbaren Wohnumfelds fördern. Mit Blick auf die teils schlechten Arbeitsbedingungen in der ambulanten Pflege brauchen wir eine grundlegende Reform.
Mit unserer Offensive „Respekt für gute Arbeit“ setzen wir uns dafür ein, Arbeitsbedingungen zu verbessern und so den Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Dazu gehören:
- bessere Löhne,
- eine Personalbemessung am tatsächlichen Pflegebedarf sowie
- das langfristige Ziel eine, 35-Stunden-Woche in der Pflege einzuführen.
Wir brauchen auch das Wissen derer, die im Pflege- und Gesundheitsbereich aktuell nicht mehr tätig sind. Dazu schlagen wir das Programm „Ausgestiegenes Pflegepersonal zurückgewinnen“ vor. Auch das nichtmedizinische Personal nehmen wir in den Blick. Wir müssen verhindern, dass diese Angestellten in schlechte Tarifverträge ausgelagert werden. Das ist eine Frage des Respekts.
Freilich streben wir die bestmögliche Versorgung für Patientinnen und Patienten an. Dazu gehört eine Initiative, um die Qualität in der praktischen Pflegeausbildung sicherzustellen. Für alle, die schon länger im Dienst sind, müssen wir das Fort- und Weiterbildungsangebot stärken. Das schafft Aufstiegschancen und macht die Berufe so attraktiver. Eine Aufwertung erreichen wir ebenso, indem wir Entscheidungsmöglichkeiten und Kompetenzen – wie bei dem Projekt der Gemeindeschwester - erweitern.
Wichtig ist zudem ein Pflege-Tariftreuegesetz, das Angehörige, Pflegebedürftige und Pflegende gleichermaßen entlastet. Das bedeutet:
- Tarifbindung in der Langzeitpflege stärken und
- gleichzeitig die Eigenanteile in der gesetzlichen Pflegeversicherung deckeln.
- Die besseren Arbeitsbedingungen für berufliche Pflegende müssen wir nachhaltig und solidarisch finanzieren.