Gegen die Bildungskatastrophe in NRW: „Wir müssen den Mut haben, über Schulinhalte zu sprechen“

Der Appell von Dilek Engin, schulpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Landtag NRW, ist deutlich: „Wir müssen den Mut haben, über Bildungsinhalte zu sprechen.“ Dazu hat die SPD-Fraktion Wissenschaftler*innen, Lehrer*innen, Schüler*innen und andere Akteure aus dem Bildungsbereich zum Werkstattgespräch in den Düsseldorfer Landtag eingeladen. Thema des Abends: „Mehr Chancengleichheit in der Bildung – Schule neu denken.“ Ergebnisse jüngster Studien zeigen den Handlungsbedarf auf, so Dilek Engin. Die Folgen der Bildungskatastrophe in NRW sind schließlich spürbar und messbar: Etwa 20 Prozent der Schüler*innen erreichen laut IQB-Bildungstrend 2021 nicht die Mindestanforderungen der Kultusminister*innenkonferenz für Lesen, in Mathematik scheitern sogar knapp 30 Prozent. Auch die Ergebnisse der COPSY-Studie sind eindeutig: Zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen im Alter von elf bis 17 Jahren fühlen sich durch die Corona-Pandemie belastet. Außerdem berichteten etwa 40 Prozent der Kinder und Jugendlichen von einer geminderten gesundheitsbezogenen Lebensqualität während der Corona-Pandemie. Auch der DAK-Jugendreport bestätigt diesen Negativ-Trend. 2022 sind 42 Prozent mehr Jugendliche mit emotionaler Störung im Krankenhaus aufgenommen worden als im Vorjahr.

Margret Rasfeld will auf diese Herausforderungen mit grundsätzlichen Veränderungen in der Schule reagieren. Sie ist ehemalige Schulleiterin und Aktivistin für eine transformative Schule. „Ich würde schon das Wort ,Unterricht‘ abschaffen“, sagt Rasfeld: „Menschlichkeit muss in die Schule.“ Kreativität müsse gefördert werden. Lernen brauche Begeisterung. „Kinder im Burn-out mit neun Jahren – das kann es nicht sein.“ Um bei diesen Entwicklungen gegenzusteuern, muss aus Sicht von Rasfeld Schule neu gedacht werden – im wahrsten Sinne des Wortes. Dazu kann für sie etwa das Schulfach „Herausforderung“ gehören. Dabei sollen die Schüler*innen ein Problem oder eine Herausforderung selbstständig bewältigten –

natürlich mit pädagogischer Aufsicht. Das kann etwa eine lange Reise mit dem Rad sein. So würden sich Potentiale erst wecken lassen, sagt Rasfeld.

Professorin Michaela Vogt, Bildungs- und Schulforscherin an der Universität Bielefeld, hat ganz verschiedene Schulsysteme aus verschiedenen Ländern im Blick. Sie will grundsätzliche Fragen der Bildungspolitik debattieren. „Warum gibt es vierjährige Grundschule, obwohl es empirisch keinen Sinn macht?“. Die Entwicklung von Kindern lege andere Zeiträume nahe. „Solche Debatten können uns helfen“, sagt Vogt. Auch im Unterrichtsmaterial sieht Vogt einen Ansatzpunkt. „Hat jemals ein Lehrer Schülerinnen und Schüler gefragt, wie sie oder er das Unterrichtsmaterial findet?“, fragt Vogt. Es müsse zur Klasse passen und individuell anpassbar sein. Das sei meist nicht der Fall.

Die Perspektive des Praktikers bringt Christian Jansen ein. Er ist Mitglied der Schulleitung der Gesamtschule Höhnscheid in Solingen. Das Leitbild dort: „Unsere Schule ist ein gesunder Lern- und Lebensraum für alle – verbindlich, selbstständig, vertrauensvoll“. Er weiß, welche Herausforderung es ist, Lernarrangements immer wieder zu überprüfen, anzupassen und den Dialog mit allen im Schulleben zu führen. „Aber sobald ein Kollegium die Erfahrung gemacht hat, dass etwas funktioniert, setzt das Motivation frei“, sagt Jansen. Auch seine Schüler*innen nimmt er mit. „Alles ist gut in Schule, wo man Schüler beteiligen kann.“

Ben Albrecht ist Schüler der Gesamtschule Höhnscheid – er besucht die Oberstufe. Den Dialog und Austausch an seiner Schule schätzt er. „Ich glaube, dass das Gespräch mit den Schülern ganz wichtig ist.“ Deshalb sei es gut, dass diese in Solingen nicht nur über die Schülervertretung stattfänden. „Auch in Beratungsgesprächen geht es nicht nur darum, was Schüler anders machen können.“ Es gehe auch um die Schule. „Kein Schulsystem ist für alle Schüler perfekt“, ist Ben Albrecht überzeugt. „Wir brauchen Skills, wie man sich nach Interessen weiterbilden kann.“

Die Diskussion mit den Gästen zeigt: Die Zukunft der Schule bewegt. Leistungsdruck, Partizipation von Schülern und außerschulisches Lernen sind Themen. Die Frage nach einer modernen Schule mit Chancengleichheit für alle ist damit aufgeworfen. Die SPD-Fraktion wird weiter nach den besten Lösungen suchen und sich dafür einsetzen.

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