Die Lebensleistung der ersten Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter wertschätzen

Deutschland ist eine Einwanderungsgesellschaft. Die einheimischen Arbeitskräfte reichten in den 1950er und 1960er Jahren nicht aus, um die deutsche Wirtschaft in ihrem anhaltenden Wachstum zu unterstützen. Also ging man hin und warb ausländische Arbeitskräfte an – aus europäischen Ländern, aber auch aus Marokko und Südkorea. Der Plan damals: Junge, gesunde Gastarbeiter kurbeln die deutsche Wirtschaft mit ihrer Arbeitskraft an und kehren später in ihre Herkunftsländer zurück. In den Jahren 1955 bis 1970 arbeiteten insgesamt rund 14 Millionen Menschen größtenteils körperlich schwer im Bergbau oder Baugewerbe und in der Stahlindustrie – in Akkord- und Schichtarbeit. Auch mein Vater war Bergmann und Industriearbeiter, während meine Mutter nach der Geburt von uns Kindern als Reinigungskraft tätig war. 2,6 Millionen dieser Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter blieben auch nach dem Anwerbestopp hier und holten ihre Familien nach, sofern diese noch nicht in Deutschland lebten.

Diese Menschen sind inzwischen in Deutschland alt geworden, sie haben ihre Kinder aufgezogen und hier mehr Lebenszeit verbracht, als sie je in ihrem Herkunftsland waren. Deutschland und Nordrhein-Westfalen sind längst Heimat für sie, ihre Kinder, Enkel und Urenkel geworden. Es liegt nun an uns, ihnen ihren Lebensabend zu verschönern. Und vor allem Danke zu sagen – für ihre Arbeit, ihren Fleiß und ihre Entbehrungen. Denn die damalige Politik hatte schlicht keine Integrationsmaßnahmen für diese Gruppe vorgesehen, sodass sie keine Sprachkurse erhielten und es unter anderem dadurch für sie schwer war, sich in das soziale Leben ihrer neuen Heimat zu integrieren.

Die erste Generation der Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter verbringt nun ihren Lebensabend mit und bei uns. Ihre Lebensleistung gilt es, zu würdigen und anzuerkennen. Meine Eltern lebten bis zu ihrem Tod in Deutschland – über 50 Jahre, in denen sie ihre Kinder großgezogen und zur Schule geschickt, hier gearbeitet und Steuern gezahlt haben. Und dennoch: Den Duisburger Oberbürgermeister durften sie bis zuletzt nicht mitwählen. Wir müssen Menschen mit Einwanderungsgeschichte gesellschaftliche und politische Teilhabe ermöglichen und das kommunale Wahlrecht für Staatsbürger aus Drittstaaten voranbringen. Ebenso vorantreiben müssen wir die interkulturelle Öffnung in den Institutionen der Altenpflege und -hilfe, auf die diese Menschen aufgrund ihres Alters inzwischen angewiesen sind. Kultursensible Pflege ist in meinen Augen auch eine Frage des Respekts.

Um Respekt, aber vor allem Anerkennung geht es auch im Hinblick auf die dritte und vierte Generation dieser Familien: Viele der Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter sorgen sich um die Perspektiven ihrer Kinder und Enkelkinder. Wir müssen ihnen die Wege ebnen, die wir der ersten Generation in den 50er- und 60er-Jahren nicht geebnet haben – gleiche Zugangschancen zum Bildungssystem und Arbeitsmarkt, gegen eine Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt und für mehr Vielfalt im öffentlichen Dienst. Und wenn wir die Migrationsgeschichte Deutschlands und Nordrhein-Westfalens im Lehrplan der Schulen verankern, hat sie die Chance, Teil unserer gemeinsamen Erinnerungskultur zu werden.

Auch wenn ich selbst als Kind einer Einwandererfamilie heute Abgeordneter im Landtag von NRW bin, weiß ich, dass dieser Weg nicht selbstverständlich ist. Wir müssen gemeinsam an einer offenen Gesellschaft arbeiten, die frei von Diskriminierung und Rassismus ist und die Vielfalt als Stärke versteht und lebt. Packen wir es an!

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